K L E X P


Bissfest

Einer in vielem sagte mein Priester immer,

jede Woche hält er den Laib Christi in die Luft, jedes Jahr aufs Neue hängt er sich in seiner Robe in die Luft, vor den großen Ostfenstern. Jedes Jahr nagen wir an Ihm, zuerst an der Robe, dann ziehen wir an seiner Haut bis sie sich dehnt, dann bis sie reißt, wir nagen an ihr, so wie Hungernde an Ledertapeten nagen, ziehend und zehrend am Zaum, sabbernd zerkauend nagen wir, zu schmerzerfüllt-entzückten Schreien des Hängenden. Nach der zähen Vorspeise beißen wir in sein Fleisch. Intim und mit großem Gefallen fahren die Zahnknochen durch Museklfasern, Sehnen weben und schlängeln sich ans Zahnfleisch. Näher und näher ans Innere des Priesters dringen wir vor, Die genüsslich zerkaute Lederhaut weicht dem Fiebrtraum, den getriebenen Traum, in dem es keinen anderen Trieb als den zum Inneren gab, unsere Treibjagd zum Kern, zum Springen und zum Greifen, immer näher ans Herz zu greifen, immer näher ans Herz zu beißen, immer näher ans Herz zu blicken, den Speichelfluss mit Blicken aufs Herz zu mehren, sobald es soweit ist, sobald wir vorbei sind an den hängenden Gedärmen und dem hängenden Zwerchfell und dem saftsprühend zerbissenem Fleisch.

Unsere Hände strecken sich dem Herz empor, der delirante Prieser atmet laut lungenlos dem Raum entgegen, der Atem trägt seine Worte in uns hinein. Unsere Arme brennen in der Mühe, unsere Finger sind erschöpft, einige gebrochen, vor dem Zusammenbruch sind wir nur vom Licht und Saft des Herzens, seines Herzens, des Herzens des schwebenden Halbkörpers bewährt, des Halbkörpers der uns Tag für Tag beredet beriet, der nun halberhalten schwebt vor den großen Ostfenstern, im zunehmend stumm wohltönenden Schreiatem.


Sobald das Herz zum Opfer wird, ausreichend entsaftet wird, ausreichend ergriffen wird, beginnt es uns zu ergreifen, wir sind berührt, es dringt in uns ein, es atmet Brand, wir atmen ein und brennen und beißen es, es fässt unsere Zungen, wir ertrinken in seiner Abstrahlung, es wird größer, ein Kubikmeter, es rückt uns näher, die Luft wird stickig, der Fleischgeruch setzt erst jetzt ein, waftet uns entgegen und beginnt uns zu verschlingen, das Herz pumpt Blut durch die gesamte Kirche, sechshundert Qadratmeter groß, wohlgenährt und überfüllt ertrinken wir und werden erdrückt, die Kirche füllt sich mit dem Herz, es schlägt zum Atem des Priesterrestes an den Ostfenstern, es überwältigt uns, wir tauchen unter, verschlungen vom sich ausdehnenden Herzen, wir fließen in seinen Adern, wir träumen in der Tiefe überfüllt und überwältigt in seinen Venen, es hat sich von seinen Herren und seinen Dienern freigesprochen, wir sind in ihm und mit ihm, jeder Kubikmeter, Herzerfüllt, jeder von uns, Herzerfüllt, jeder andere Tag herzlos, nach dem stumm-überwältigten Priesterschrei schreiend, lieblos, laiblos, zur verstimten Rede und Berührung bestimmt bleiben wir, beraubt unserer Beißwerkzeuge sind wir, als Kieferkrüppel nur zu Konversation und Gebet befähigt sind wir, beinah Augenlos lichtverneinend an jeden anderen Tag im Jahr sind wir, beinah mundlos blutentsagend an jeden anderen Tag im Jahr sind wir, unfestlich an jeden anderen Tag im Jahr sind wir, unfestlich sollen wir bleiben, bis dieser Tag ein zweiter wird, ein anderer wird, sich festlich gleicht und doch anders ist, als Wiederholung dieser Wiederholung denselben vernichtenden, denselben überwältigenden, denselben erhellend-füllenden Zwang mit uns schafft und den Zirkel des Jares aufs neue treibt und schließlich schließt.

23.05.2024

Leafy Green